Der Rote Karton

Gastbeitrag von Joachim K. Knollmann. Geschäftsführer der Werbeagentur JK Marken. 


Eine Geschichte aus der Welt der Kommunikation.

Mittwoch, 21 Uhr. Es war wie immer. Der ganz normale Wahnsinn am Abend vor einer wichtigen Präsentation. Letzte Korrekturen. Pappen werden geprüft und zusammengestellt. Ja, Pappen, für die Diskussion nach der Keynote. Das machen wir bis heute so. »Was ist mit der Keynote, wo bleiben die Grafiken?« Gewusel auf dem Flur, am Drucker, hektische Berater und dann der Ruf der Assistentin: »Wir brauchen 16 Ausdrucke!« Es ist mittlerweile 23.35 Uhr. Ich erstarre. Moment, was hat sie gesagt, seeechzeeehn Ausdrucke? Wofür? Ich drehe mich nach einem Moment des Innehaltens und kurzen Überlegens ... ruckartig um: »Moooment, was hast Du gesagt? Habe ich richtig verstanden? Seechzeeehn Ausdrucke?« »Ja, der Kunde reist aus den Standorten mit je 4 Personen an.« Um Himmels Willen, dachte ich und fragte: »Wieso denn 4?« »Weil die mit der gesamten Geschäftsführung aller Standorte kommen.« Mir schwante Böses.

Wir hatten vor, eine – nur genau eine, eine einzige – Big Idea zu präsentieren. Wir reden über das Jahr 2008 und wir reden über ein Konsortium aus lokalen Stromversorgern. Es war damals nicht so einfach, einer solchen Gruppe aus Entscheidern genau eine Big Idea zu verkaufen, kniffelig. Die Erwartungen in einem solchen Fall belaufen sich meist auf etwas nahe Liegendes, in dem sich jeder der Teilnehmer wiederfinden kann - einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Wir aber wollten das Produkt personifizieren, einem lokalen Strom- und Erdgastarif ein Gesicht geben. Die zu überzeugen, war gelinde gesagt schwere Kost.

Stadtwerksangestellte, nahezu Beamte, und jetzt auch noch statt sechs erwarteter Teilnehmer sechzehn von der Sorte, die von einer Marken- und Marketingkampagne nichts anderes als ein tolles Logo mit Claim erwarten ...!!! Sie würden die Idee ganz langsam vor unseren Augen sezieren. Mir war klar, ich musste mir was einfallen lassen. ABER WAS?

Einige Jahre zuvor hatten wir auch schon mal so einen »Beamtenpitch«. Da ging es um eine Landesgartenschau in fünf langen Präsentationsgängen - in der letzten Runde vor 64 sogenannten Bevollmächtigten und Abgeordneten des Landes, der Bezirksregierung und der Kommunen, z. B. von der Unteren und Oberen Landschaftsbehörde, den Gesandten der Gartenbauämter der Städte und des NRW-Landwirtschaftsministeriums und anderer nicht identifizierbarer Mysterien. Nach diesem Hyperpräsentationsbohai hatte ich damals eine Idee, um bei einem nächsten Mal die Präsentation besser vor so vielen Leuten inszenieren zu können. Ich rannte ins Lager, suchte nach einem Umzugskarton, schnappte den und brachte ihn ins Atelier: »Beklebt mir den bitte rundum mit roter Folie!« Zu meiner Assistentin sagte ich, sie möge mir einen DIN A4 Briefumschlag grau bekleben. Jetzt rätselten die Mitarbeiter, was ich vorhatte.

Gesagt, getan. Der große rote Karton und darin der graue Briefumschlag, wurde am Morgen mit zur Präsentation genommen. Nachdem der Beamer endlich lief und bevor in der großen »Meeting-Hall« unsere Präsentation starten konnte, betrat ich als letzter mit dem roten Karton unterm Arm den Konfi. Es war schon nicht ganz einfach, durch die Tür zu kommen, auf Grund der Größe. Ich begnügte mich aber nicht damit, einfach nach vorn zu gehen und den Karton hier abzustellen, ich ging durch die Reihen und begrüßte die einige Teilnehmer persönlich. Nicht selten stieß ich den ein oder anderen dabei an. Ich bemühte mich nur oberflächlich darum, dass das nicht passierte, vielmehr freute ich mich über jeden Rempler und entschuldigte mich süffisant. Abschließend stellte ich den roten Karton auf den Präsentationstisch. Er verdeckte teilweise das Beamerbild, auf dem das erste Chart unserer Präsentation stand. Der Karton fiel auf.

Das Meeting wurde mit warmen Worten eröffnet und stellte meine Mitarbeiter vor.

Dann ging ich zum Karton und hob ihn erneut hoch. »Das, was sie hier sehen, ist eine sogenannte Big Idea in der Werbung. Die eckt an, fällt jedem auf, begeistert nicht alle sofort, aber wird garantiert wahrgenommen. Stimmts?« Als alle – teilweise jedoch irritiert – nickten, stellte ich die Frage: »Aber warum? Was macht eine Big Idea aus? Wie kommt man zu einer Big Idea«

Nun ging ich auf einen der Teilnehmer zu: »Jetzt kommen Sie. Die Big Idea gefällt Ihnen, aber sie wünschen sich runde Ecken. Er würde doch ein bisschen sehr weh tun, wenn man sich im Vorbeigehen daran stößt. Gut, wir sind Dienstleister, machen wir, runden wir die Ecken ein wenig ab«

Ich wand mich an den nächsten Teilnehmer: »Ah, Sie finden ihn zu hoch, weil er aus Ihrer Sicht das Beamerbild verdeckt« Der Teilnehmer nickte und zog die Brauen hoch. »OK, verstehen wir, dann machen wir ihn flacher. Wir verhandeln vermutlich noch ein bißchen darüber, um wieviel wir ihn flacher machen, aber am Ende machen wir es. Sie sind der Auftraggeber.«

Eine Dame saß eine Reihe dahinter, ich schaute zu ihr: »Sie wünschten sich, er sei quadratischer, aus ästhetischen Gründen. - Gut, damit können wir umgehen, machen wir ihn quadratisch.«

Jetzt erklärte ich in die gesamte Runde: »Der nächste wünscht ihn sich wieder flacher, wegen der Handlichkeit und vielleicht mit Handgriff, damit man ihn ein wenig besser tragen könne. Man müsse ihn ja schließlich im Alltag bedienen. Den Handgriff bekommen wir dann noch abgewandt, aber flacher wird er dann noch einmal. Ein anderer stört sich an der Farbe rot und könne sich die Farbe blau, oder grün vorstellen. Lange Diskussionen folgen. Final einigt man sich auf ein blaugrau.«

Ich ging wieder langsam nach vorn, stellte mich vor die Versammelten. Ich öffnete den großen roten Karton. Alle starrten mich erwartungsvoll an. »Am Ende werden wir uns hierauf einigen.« Ich ziehe den grauen Briefumschlag heraus und halte ihn in die Luft. »Das bleibt übrig, wenn wir es allen recht machen wollen. Die Big Idea wird zu einem flachen unscheinbaren Briefumschlag, der jetzt allen mehr oder weniger gefällt. Doch, …keiner sieht ihn mehr, …der fällt nicht mehr auf, er eckt nicht mehr an, oder?«.

Ich ging damit zur Saaltür und schob den Briefumschlag mit einem Schwung unter der Tür hindurch »…und, weg ist er!«. Ich klatsche dreimal in die Hände, wie nach getaner Arbeit und hielt die sauberen leeren Hände in die Luft. »Gefällt allen, aber keiner nimmt ihn mehr wahr! DAS, meine Damen und Herren, ist der Unterschied zwischen einer Big Idea und einer normalen Idee. …und jetzt erwarten sie von uns bitte einen großen roten Karton!«

Wir begannen mit der eigentlichen Ideenpräsentation. Wir gewannen den Pitch, der Strom bekam den Namen »Jürgen« und wurde als »Jürgen. Strom und Erdgas von hier«, erfolgreich.